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Arbeitskultur in Indien - Mit Chai und Chapati

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Date23 Jun 2022

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In Deutschland ist Indien vielen als Hochburg der IT-Industrie sowie für die vielen Fachkräfte aus den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) bekannt. Doch ein genauerer Blick offenbart, dass die indische Arbeitswelt doch um einiges vielfältiger ist als es das Klischee der gigantischen Großraumbüros mit hunderten Call-Center-Mitarbeiter*innen vermuten lässt. 

Entgegen den weit verbreiteten Vorurteilen hat sich Indien in den letzten Jahren in vielen Wirtschaftszweigen stark weiterentwickelt und viele beeindruckende Erfolge erzielt. So zählen zum Beispiel die Digitalindustrie und die Start-up-Szene zu den dynamischsten weltweit. Alleine im Jahr 2021 haben 44 indische Start-Ups den sogenannten Einhorn-Status erreicht mit einem Unternehmenswert von mindestens einer Milliarde Dollar. Insbesondere im E-Commerce-Sektor, aber auch in den Bereichen der Fintech-Industrie oder in der digitalen Gesundheitswirtschaft konnten sich viele aufstrebende Unternehmen etablieren, die Indien den Rang als drittgrößter Start-Up-Market der Welt beschert haben. 

Somit ist Indien mittlerweile auch für deutsche Auswander*innen attraktiv geworden, da deutsches Know-how insbesondere in den Ingenieurberufen sehr gefragt ist. Der Jobeinstieg bei einer indischen Firma oder bei einer in Indien tätigen Organisation mit vielen indischen Mitarbeiter*innen gelingt meist deutlich einfacher, wenn man sich zuvor mit der indischen Arbeitskultur vertraut macht. Mit diesem Artikel wollen wir euch einige Tricks und Hinweise an die Hand geben, damit ihr euch schnell in der indischen Arbeitswelt zurechtfinden könnt. 

Wie in vielen anderen Bereichen des indischen Alltags wird man auch in den meisten indischen Büros klare Hierarchien vorfinden. Auch wenn Deutschland ebenfalls für eher strikte Regeln am Arbeitsplatz bekannt ist, unterscheidet sich die Situation doch grundsätzlich in den beiden Ländern. In Deutschland drückt sich die formelle Arbeitskultur häufig in der klaren Unterscheidung zwischen Freizeit- und Arbeitssituationen aus, was vor allem durch den Gebrauch von „Sie“ als formeller Anrede im Gegensatz zu „Du“ erkennbar wird. 

Lest hierzu auch unseren Artikel auf New2 Germany, in dem wir erklären, wie „Du“ und „Sie“ richtig verwendet werden.   

In Indien wiederum geht es innerhalb eines Teams mit gleichgestellten Mitarbeiter*innen zum Teil informeller zu, was auch am weit verbreiteten Gebrauch des weniger formellen Englisch in Bürojobs liegt. Die Hierarchie zwischen Angestellten und Vorgesetzten ist jedoch oft viel ausgeprägter als in Deutschland. Zudem gibt es iInnerhalb indischer eines Unternehmens gibt es allerdings häufig noch mehr Hierarchiestufen als in Deutschland. So werdet ihr in den meisten Büros nicht nur Beschäftigte mit unterschiedlicher Arbeitserfahrung antreffen, sondern auch viele Arbeitskräfte, die unterstützende Tätigkeiten ausüben, wie den Transport von Unterlagen innerhalb des Unternehmens oder die Instandhaltung der Arbeitsräume. Auch der in Indien allgegenwärtige Chai – aromatisch gewürzter Schwarztee mit Milch – wird in vielen indischen Büros frisch von einer Hilfskraft zubereitet. Mit dieser starken Ausdifferenzierung der Tätigkeiten am selben Arbeitsplatz gehen oft große Unterschiede bei der Qualifikation wie Bildungsstand oder Sprachkenntnissen einher. Dies kann zu größeren Unterschieden, und damit oft auch steileren Hierarchien, zwischen den Mitarbeiter*innen eines Unternehmens führen als man es vielleicht in Deutschland gewöhnt ist. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt des indischen Arbeitsalltags liegt in der indischen Esskultur begründet. Die Liebe der Inder und Inderinnen für ihre vielfältige Küche lässt sich auch im Büro oder an der Werkbank erleben, wenn die Kolleg*innen zur Mittagszeit ihre mitgebrachten Speisen miteinander teilen. Ein simples Käsebrot wäre hier ebenso undenkbar wie das Mittagessen ganz allein zu verspeisen. Meist wird alles geteilt und so kommt jede*r in den Genuss von Dal, Rajma (vegetarisches Gericht mit Kidneybohnen, das aus dem Punjab stammt) oder verschiedenen Sorten Sabji (gekochtes und gewürztes Gemüse). 

Schaut euch hier unseren Artikel zur Vielfalt vegetarischer Gerichte in Indien an! 

In Mumbai, der geschäftigen Wirtschafts- und Finanzhauptstadt Indiens, haben sich die Bewohner*innen ein besonders ausgeklügeltes Liefersystem einfallen lassen, damit die Scharen an Büroarbeiter*innen selbst am weit entfernten Arbeitsplatz frische hausgemachte Speisen verzehren können. Die sogenannten Dabbawalas (Dabba bedeutet Schachtel oder auch Essenbehälter) eilen schon seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Handkarren, Fahrrädern oder Lokalzügen durch die Stadt, um selbstgekochtes Essen vom Zuhause der Arbeiter*innen bis zu deren Arbeitsplatz zu bringen. Das Essen wird meist von den Ehepartner*innen am Vormittag zubereitet und dann zur Mittagszeit in den Dabbas oder Tiffin Boxes genannten Edelstahlbehältern am Bestimmungsort ausgeliefert. Mithilfe dieser Behälter bleibt das Essen nicht nur heiß, sondern Reis und Chapati (indisches Fladenbrot) vermengen sich nicht mit den Curries und Dalgerichten, da die Dosen mehrere voneinander getrennte Fächer haben. Die Lieferungen folgen einem komplexen Markierungssystem mit Farben und Symbolen, mit dessen Hilfe so gut wie keine Lieferung verloren geht oder falsch zugestellt wird. Selbst Forscher*innen der Harvard Business School untersuchten in einer Studie die außerordentliche Zuverlässigkeit dieses über Jahrzehnte etablierten Systems.  

Wollt ihr die Dabbawalas auf einer Zugfahrt in Mumbai begleiten? Dann schaut euch unseren Guide zu den öffentlichen Verkehrsmitteln in Mumbai an

Habt ihr selbst schon Erfahrungen in der indischen Arbeitswelt gesammelt und möchtet eure Erlebnisse mit uns teilen? Dann schreibt uns gerne in den Kommentaren oder direkt an [email protected].

Autor: Ferdinand Schlechta

Titelfoto: Unsplash – Smartwork Coworking

Weitere Fotos: Unsplash – Ricky Singh

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